4. Dezember: Barbarazweige

Sterben und Blühen

Was haben ein Koch und ein Artillerist gemeinsam, ein Architekt, ein Bergmann – und ein Sterbender? Dieselbe Patronin haben sie, merkwürdigerweise: die heilige Barbara, deren Fest am 4. Dezember gefeiert wird. Dass sie so unterschiedliche Menschen als himmlische Helferin verehrt haben, deutet darauf hin, wie beliebt Barbara einmal im christlichen Heiligenhimmel gewesen ist.
Zumal ihr Kult uralte, vorchristliche Wurzeln besitzt: Wer am Barbaratag Zweige vom Obstbaum, vom Forsythienstrauch, von Flieder, Jasmin, Linde ins Wasser stellt, damit sie am Heiligen Abend blühen, führt damit einen archaischen Fruchtbarkeitsbrauch fort. Am Abend vor dem 4. Dezember gingen Frau Holle oder die über Wolken, Wind und Regen gebietende Perchta um und erschreckten die Menschen. Ursprünglich wurden die Zweige geschnitten, wenn der Weidebetrieb zu Ende war; wenn sie dann in Stall oder Stube blühten, bedeutete das Segen für das nächste Jahr. Erst im 15. Jahrhundert verband sich die alte Sitte mit Weihnachten: Das frische Grün sollte die Erlösung durch den Mensch gewordenen Gott versinnbildlichen.
Noch um 1900 ersetzten die Barbarazweige – mit buntem Zuckerwerk geschmückt – in ländlichen Gegenden Süddeutschlands den als „preußisch“ verschrienen Christbaum. Es gab sogar einen richtigen „Barbarabaum“, eine junge Kastanie, Kirsche, Ulme oder Birke, die Anfang Dezember in einen Wasserkübel gestellt wurde und bis Weihnachten austrieb. Solche Prachtbäume reichten oft bis zur Decke! In Basel und St. Gallen feuern die Artilleristen am Barbaratag 22 Kanonenschüsse zu Ehren der Heiligen ab.

Das Martyrium der heiligen Barbara, von Lukas Cranach dem Älteren (1472–1553), um 1510. – metmuseum.org/Rogers Fund, 1957

Und wer war diese sagenhafte Barbara? Der Legende nach eine Märtyrerin, schön und hochintelligent, die der eigene Vater aus Wut über ihr Bekenntnis enthauptet haben soll, und zwar während der Christenverfolgung unter Kaiser Maximian um 306. Sie wird gern mit einem Turm dargestellt, weil sie angeblich vom Vater dort gefangen gehalten wurde (und ein drittes Fenster in die Mauer brechen ließ, als Hinweis auf den dreifaltigen Gott). Aus dieser traurigen Familiengeschichte erklärt sich auch die merkwürdige Beziehung der Bergleute zu einer antiken Märtyrerin: Auf der Flucht vor ihrem Vater soll sie in einer Felsenhöhle Zuflucht gefunden haben, die sich plötzlich auftat. In der Schar der 14 heiligen Nothelfer gilt sie als Fürsprecherin in der Sterbestunde und als Schützerin vor einem unvorhergesehenen Tod.

Denn niemand, der Barbara um Fürsprache bat, wird ohne Gottes Trost sterben – so glaubten die Menschen lange Zeit. Und weil man sich Gott einst nur als strengen Richter vorstellen konnte, war eine Heilige, die so etwas zu garantieren vermochte, natürlich überaus populär. Als historisch nicht gesicherte Figur ist sie zwar aus dem offiziellen katholischen Heiligenkalender verschwunden, ihr Gedenktag besteht im deutschen Sprachgebiet jedoch weiter.

Christian Feldmann