Pessach und Ostern

„Wir waren die Sklaven des Pharao“

Das Osterfest der Christen lässt sich kaum denken ohne das jüdische Pessach. Juden und Christen feiern Gott als Befreier und den Sieg des Lichts über die Finsternis.

metmuseum.org/Cloisters Collection
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Am geheimnisumwobenen Pessach-Vorabend spielen in allen jüdischen Familien die Kinder die Hauptrolle. Sorgfältig einstudiert, in klassischem Hebräisch, stellen sie die Frage, die seit Jahrhunderten gleich geblieben ist: „Ma nischtanā haláila hasé me kol haleílot? Was unterscheidet diese Nacht von allen anderen Nächten?“ Und der Hausvater beantwortet ihre Frage ebenfalls seit Jahrhunderten auf dieselbe Weise, indem er die Geschichte der Befreiung seines Volkes erzählt: „Einst waren wir Sklaven des Pharao in Ägypten. Aber der Ewige, unser Gott, führte uns von dort heraus mit starker Hand und ausgestrecktem Arm.“

Jedes Jahr dieselben Fragen, dieselbe Geschichte, derselbe Ritus. Es geht nicht einfach um Nostalgie und Erinnerung an biblische Zeiten. Die Botschaft von Pessach ist immer aktuell: Gott erlöst aus der Knechtschaft. Vor ihm gibt es nur freie Menschen, und so sollen sie auch leben – frei, ihm zu dienen und einander glücklich zu machen.

In der Pessachfeier sind zwei uralte Feste verschmolzen: ein nomadisches Opferfest und ein Erntefest von Ackerbauern. Für die Hirten der Frühzeit war es vielleicht das letzte feierliche Mahl, ehe sie von den Winterweiden zu den Sommerweiden hinüberwechselten. Dabei wurde wahrscheinlich ein Widder geschlachtet. Als die Stämme sesshaft wurden, gab es einen neuen Anlass zum Feiern: Vor der prächtigen Kulisse des Frühlingsvollmonds opferten sie die ersten Früchte des Ackers. Wüstennomaden feiern heute noch auf diese Weise.

Später verband sich dieses Frühlingsfest mit der Erinnerung an ein großes geschichtliches Ereignis, nämlich den wunderbaren Aufbruch aus Ägypten, die Befreiung aus dem „Sklavenhaus“ des Pharao. Das Kultmahl des alten Frühlingsfestes verwandelte sich nun zu einer stellenweise fast szenischen Vergegenwärtigung des Exodus, wie man den Auszug aus Ägypten nennt. Auf dem festlich gedeckten Tisch liegt das „Brot des Elends“ oder, wie es auch heißt, „Brot der Befreiung“. Es handelt sich um dünne Brotfladen aus Mehl und Wasser, die Mazzot oder Matzen. Der Mazzot-Teig wird flach ausgerollt und sofort gebacken, damit es zu keinem Gärungsprozess kommen kann. Genau so muss es beim eiligen Aufbruch der Israeliten aus Ägypten gewesen sein, als keine Zeit mehr war, die Gärung des hastig gebackenen Reiseproviants abzuwarten.

Zu den symbolträchtigen Speisen dieses Abends gehören gekochte Kartoffeln, Sellerie und Petersilie. Der Hausvater segnet die Feldfrüchte mit den Worten: „Barúch atá adonái elohénu mélech haolám boré pri ha´adamá. Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, der du die Frucht der Erde erschaffen hast.“ Bevor er aber davon zum Dank für die erste Ernte des Jahres isst, taucht er Kartoffeln und Gemüse in ein Schüsselchen mit Salzwasser. Es erinnert an die in der Knechtschaft vergossenen Tränen – und birgt in Gestalt des grünen Gemüses und der roten Radieschen doch Hoffnung: Immer wieder wird Neues wachsen.

Frisch geraspelter Meerrettich steht ebenfalls für die bittere Zeit der Unterdrückung, ein zähes Fruchtmus aus Äpfeln, Walnüssen, Wein und Zimt für den Mörtel, den die Israeliten beim Bau der ägyptischen Städte anrühren mussten. Man taucht den scharfen Meerrettich in den süßen Fruchtbrei und spricht: „Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, der uns geheiligt hat durch seine Gebote und uns befohlen hat, die bitteren Kräuter zu essen.“

Ein gebratener Unterschenkelknochen vom Lamm schließlich bringt die furchtbare Nacht in Erinnerung, die dem Exodus aus Ägypten vorausging und dem Fest seinen Namen gab: Um den halsstarrigen Pharao zu bewegen, die hebräischen Sklaven ziehen zu lassen, ließ Gott nach dem Bericht der Bibel zehn Plagen über Ägypten kommen: Heuschrecken, Stechmücken, Hagel, eine Viehseuche …

Die letzte und schlimmste Plage war das Sterben aller Erstgeborenen in den ägyptischen Familien. Nur die Kinder der Israeliten blieben verschont, wie es im biblischen Buch Exodus heißt: „Der Herr sprach zu Mose und Aaron in Ägypten: Gegen Abend soll die ganze versammelte Gemeinde Israel die Lämmer schlachten. Man nehme etwas von dem Blut und bestreiche damit die beiden Türpfosten und den Türsturz an den Häusern, in denen man das Lamm essen will. Noch in der gleichen Nacht soll man das Fleisch essen. (…) In dieser Nacht gehe ich durch Ägypten und erschlage in Ägypten jeden Erstgeborenen. Das Blut an den Häusern, in denen ihr wohnt, soll ein Zeichen zu eurem Schutz sein. Wenn ich das Blut sehe, werde ich an euch vorübergehen.“

Denn das heißt Pessach, griechisch Passah: Vorübergang, Verschonung. Eine Geschichte von einem grimmigen Gott, ein Ritual aus der religiösen Frühzeit; aber die Botschaft ist zeitlos: Gott hört die Schreie der Unterdrückten, er ergreift Partei für die Schwachen. Er bleibt den Menschen treu, mit denen er einmal einen Bund geschlossen hat. Zur Tradition des Abends gehört es übrigens auch, dass man ein paar Tropfen Wein auf den Boden verschüttet, wenn von den zehn schrecklichen Plagen erzählt wird – aus Mitgefühl mit den Ägyptern.

Was Ostern mit Pessach zu tun hat: Die Christen waren am Anfang eine jüdische Sekte, und ihr Osterfest wäre kaum zu denken ohne die jüdische Pessachnacht. Hier wie dort der Sieg des Lichtes über die Finsternis, der Übergang aus der Knechtschaft in die Freiheit. Beide Male eine Befreiungsbotschaft: der Auszug aus dem Sklavenland Ägypten und die Auferstehung aus dem Grab. Hier wie dort ein Festmahl mit Brot und Wein, hier wie dort Speisen und Zeremonien von hintergründiger Bedeutung. Hier wie dort Gedächtnis und Vergegenwärtigung – und eine Nachtwache voll Dankbarkeit und aufgeregter Erwartung.

In den katholischen Kirchen wird ein alter Hymnus auf die Osterkerze gesungen, das Exsultet: „Dies ist die Nacht, die unsere Väter, die Söhne Israels, aus Ägypten befreit hat. Dies ist die selige Nacht, in der Christus die Ketten des Todes zerbrach und aus der Tiefe als Sieger emporstieg. O wahrhaft selige Nacht, die Himmel und Erde versöhnt, die Gott und Menschen verbindet!“

Auch in der christlichen Osternachtfeier wird die spannende biblische Geschichte vom Durchzug der Israeliten durch das Meer und vom Untergang der Ägypter in den Fluten vorgelesen. Im Mittelpunkt beider Feiern – Pessach und Ostern – steht das geopferte Lamm. In den Opfertieren, die in alter Zeit im Jerusalemer Tempel geschlachtet wurden, sahen schon Paulus und die Kirchenväter einen Hinweis auf den Kreuzestod Jesu. In der Osternachtfeier heißt es: „Unser Osterlamm ist geopfert, Christus, der Herr, Halleluja! Wir sind befreit von Sünde und Schuld. So lasst uns Festmahl halten in Freude.“ Denn am Kreuz, so sehen es die Christen, starb Jesus Christus aus Liebe.

Christian Feldmann

Ostern: Ostermontag

Unterwegs nach Emmaus

Der Lammbraten liegt noch im Magen und alle Osternester sind auch schon gefunden: Der Ostermontag steht im Schatten des vorangegangenen Sonntages. Trotzdem blicken wir an diesem Tag auf ein ganz besonderes Ereignis zurück: Jesus Begegnung mit den Jüngern auf dem Weg nach Emm

metmuseum.org/Cloisters Collection
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Die Schwierigkeit vorweg: Das Ereignis, das wir am Ostermontag feiern, war gar nicht am Montag. Im Lukasevangelium steht nämlich ganz klar: “Am gleichen Tag waren zwei von den Jüngern auf dem Weg in ein Dorf namens Emmaus, das sechzig Stadien von Jerusalem entfernt ist” (Lk 24,13). Da im Kapitel zuvor von der Auferstehung Christi am Sonntag die Rede war, sind die Emmausjünger eben nicht am Montag unterwegs. Der Ostermontag erweitert also den Blick auf die Auferstehung Christi und führt Jünger ein, die sich zu dieser Zeit nicht in Jerusalem aufhalten. Und da sagt uns das Evangelium des Ostermontages Folgendes: Jesus ist bei seinen Jüngern, wo auch immer. Das wiederum gilt für uns und für alle Zeit. Egal wo wir sind, der Herr lässt uns nicht allein.

Die Geschichte von Emmaus nimmt allerdings noch eine weitere Facette in den Blick. Die Jünger sind traurig und erkennen Jesus nicht, als er mit ihnen ein Stück des Weges geht. Sie haben zwar von der Auferstehung Christi erfahren, können es aber noch nicht glauben. Selbst als Jesus ihnen die Heilige Schrift erklärt, bleiben sie blind. Erst als er das Brot bricht und ihnen gibt, wissen die beiden Jünger, wer vor ihnen steht. Und plötzlich erschließt sich ihnen der Sinn der heiligen Schrift ganz neu. Was die beiden zuvor nicht erkannten, steht nun glasklar vor ihren Augen. Genau darauf will uns der Ostermontag auch aufmerksam machen. Die Heilige Schrift aufmerksam zu lesen – wir finden dort den Zugang zu Gott. Wir dürfen nur nicht blind sein, sondern müssen die Zeichen verstehen. Das gilt für die Schrift, das gilt für das Brotbrechen. Denn auch das betont der Ostermontag: die Wichtigkeit des gemeinsamen Brotbrechens für das richtige Verständnis von Christi.

Aus Fünf mach Eins

In der Osteroktav, also die acht Tage nach Ostern einschließlich dem Ostersonntag, gilt jeder Tag als Hochfest. Allerdings ist in der heutigen Arbeitswelt eine adäquate Feier kaum möglich. Damit wenigsten einer der fünf Werktage feierlich begangen werden kann, ist der Ostermontag (ähnlich wie der Pfingstmontag) ein Feiertag.

Simon Biallowons