Kostbare Erinnerungen

Goldschmiedemeisterin Anja-Katharina Simon schafft einfühlsame Kunstwerke aus den alten Schätzen ihrer Kunden. Jutta M. Kalbhenn hat sie besucht.

Fauchend steht die blaue Gasflamme auf der Schmelzschale. Darin: goldene Ringe, Verschlüsse, ein Anhänger. Früher wurden sie sicher einmal geliebt. Heute sind sie defekt oder gefielen nicht mehr: Jetzt sind sie Altgold. Es dauert nur wenige Augenblicke, bis die Schmuckstücke unter der etwa 1.000 Grad heißen Flamme zunächst zu glühen beginnen. Dann sinken sie in sich zusammen und verlaufen am Ende zu einem kleinen, goldenen See: Bereit, zu einem neuen Lieblingsstück zu werden.

Umarbeitungen machen etwa 70 Prozent der Arbeit von Anja-Katharina Simon aus. Die Goldschmiedemeisterin im westfälischen Werne liebt ihren Beruf genau dafür: Dass er so kreativ ist und sie mit ganz individuellen Einzelstücken Menschen glücklich machen kann. Ob es sich nun um ein geerbtes Armband handelt, das optisch nicht wirklich gefällt, den Ehering des verstorbenen Partners oder gleich die beiden Ringe der Großeltern: „Es hängen so viele schöne Erinnerungen an diesen Schmuckstücken, dass es zu schade wäre, diese nicht bei sich zu tragen“, findet sie.

Collier im Schnee
Aus einem alten Ehering wurde der Anhänger eines Colliers. Foto: Simon
Zu schade für die Schublade: Aus altem Schmuck fertigt Goldschmiedemeisterin Anja-Katharina Simon neue Schätze. Foto: Kalbhenn
So betreten immer wieder Menschen den kleinen Laden im Fachwerkhaus am Anfang der Fußgängerzone, die Armbänder und Broschen auf den Holztisch legen – oder Ringe. Vor allem Eheringe haben ja ihre ganz besondere Geschichte, wie der, den Maria Schwarze gerade abgeholt hat. Er gehörte einst ihrem Großvater, den sie leider nie kennengelernt habe. Nach dessem frühen Tod hatte ihre Oma sich den Ring umarbeiten lassen. Danach erbte ihn die Mutter, die ihn schließlich der Tochter zur Feier ihrer Magisterprüfung schenkte. „Da er mir immer etwas altmodisch war, habe ich ihn eher selten getragen“, erzählt Maria Schwarze. Bis sie ihn eines Tages zu Anja-Katharina Simon brachte, und diese die Idee hatte, die neobarocken Schnörkel zu entfernen und durch zwei kleine Steine zu ersetzen. Eine kleine Änderung mit großer Wirkung: „Prompt habe ich den Ring seitdem öfter getragen als die ganzen Jahre vorher!“, sagt Schwarze. „Da ich zu meiner Großmutter ein sehr gutes Verhältnis hatte, freut es mich, den Ring jetzt auch zu tragen, weil er mir gefällt, nicht nur als Erinnerungsstück.“

Ein Schmuckstück ist mehr als ein paar Gramm Edelmetall. Es hat immer seine Geschichte, und dass Menschen daran hängen, kann Anja-Katharina Simon gut verstehen. Und so gefällt es ihr, aus dem Ehering des verstorbenen Großvaters für seine Enkelkinder kleine Kettenanhänger zu fertigen: Ein Herz und eine Schildkröte, nach Wunsch der Mädchen, die ihren geliebten Opa so nun auch immer ganz nah bei sich tragen können.

Manchmal entsteht aber auch etwas ganz anderes als zunächst gedacht. So fing sich eine andere Kundin zunächst eine Absage ein: Sie war mit einer Brosche gekommen, die sie einschmelzen lassen wollte. „Aber das konnte ich nicht!“, erinnert sich die 45-Jährige, „das war so eine feine, alte Arbeit: So etwas kann heute gar keiner mehr schmieden!“

Am 28.12.1937 haben ihre Großeltern geheiratet: Die Gravur zeigt das Alter des Ringes, den mit Maria Schwarze heute die Enkelin des damaligen Bräutigams trägt. Fotos: Schwarze.
Am 28.12.1937 haben ihre Großeltern geheiratet: Die Gravur zeigt das Alter des Ringes, den mit Maria Schwarze heute die Enkelin des damaligen Bräutigams trägt. Fotos: Schwarze.

Sie wisse wohl, dass Broschen heute nicht mehr gern getragen werden, „aber dieses Stück einzuschmelzen? Das konnte ich nicht mit meinem Goldschmiedeherz vereinbaren“, erinnert sie sich lächelnd. Die Lösung: Sie arbeitete die Brosche um zu einem Anhänger und zog ein Band durch. Die Kundin war glücklich und trägt den zierlich geschmiedeten Anhänger jetzt richtig gern.

Es sind solche Erlebnisse, die unter Freundinnen und in Familien weitergetragen werden und der Goldschmiedin einen steten Strom an Kunden bescheren. Spannend findet sie dabei die Bandbreite der Kundenwünsche: Da gebe es jene, die schon sehr genau wüssten, was sie haben möchten und schon mit Zeichnungen kämen, und wieder andere, die noch gar keine rechte Vorstellung von ihrem zukünftigen Schmuckstück hätten, aber strahlend überzeugt sind: „Sie machen das schon!“

Allen gerecht zu werden ist eine Herausforderung, die schon während ihrer Gesellenzeit ihren Ehrgeiz und vor allem den Wunsch geweckt habe, sich selbstständig zu machen. Ihren Laden hat sie nun seit 15 Jahren, und Werbung schaltet sie gar keine: Die Qualität ihrer Arbeit spricht sich herum, sowie das Herzblut, das sie investiert. Manchmal dauert es dann vielleicht etwas länger, bis das Ergebnis gefunden ist, aber die Kunden müssen glücklich sein: Das liegt ihr am Herzen.

Besonders berührend ist es, wenn sie für Witwen die Ringe ihrer verstorbenen Männer umarbeitet. Männer, erzählt sie, kämen übrigens mit diesem Anliegen nicht: die gäben eher die Ringe ihrer Frauen an die Töchter weiter, die sie dann für sich umarbeiten ließen. Frauen dagegen kommen regelmäßig zu ihr in den Laden und bringen ihr einen oder gleich beide Ringe mit. Manchmal noch eine Brosche oder ein anderes Schmuckstück mehr: Dann überlegt die Künstlerin mit ihnen, wie die Erinnerung in das Schmuckstück eingearbeitet werden kann. Ob sie das Gold einschmilzt und etwas ganz Neues aus dem Alten entsteht, oder ob die Ringe nur behutsam geändert werden und ihre Substanz unverändert bleibt.

Manchmal nehmen alte Eheringe auch ganz moderne Formen an wie dieser Fingerring nach einem Entwurf Anja-Katharina Simons. Foto: Kalbhenn
Altgoldstücke schmelzen unter der Gasflamme. Aus ihrem Material stellt die Goldschmiedin Anja-Katharina Simon neuen Schmuck her. Foto: Kalbhenn

Es ist ein Stück Abschied, das sie dann noch einmal nehmen müssen. Es sei auch schon vorgekommen, dass eine Kundin ihren Ring abholten wollte und zu weinen begann, als sie den Ring in die Hand nahm. Der Ring, den ihr einst der Mann auf den Finger schob, der nun nicht mehr da ist. Ein emotionaler Moment, der auch Anja-Katharina Simon berührt.

Dann bleibt die Arbeit so lange liegen, und sie hört zu. Manchmal eine ganze Lebensgeschichte lang. Eine Lebensgeschichte, die auch nicht aufhört mit dem Tod des Partners. Eine Lebensgeschichte, die zwei Ringen innewohnt, die nun zu einem Schmuckstück vereint wurden, mit dem seine Trägerin ein bisschen getröstet wieder ins Leben geht. Er ist ja noch bei ihr.