Vom Kuscheltier zur Kuscheljacke

Alpaka-Fasern liefern hochwertige Stoffe für nachhaltig gefertigte Kleidung

Von Anke Schwarze

Ihre Begegnung war Zufall. Doch im Nachhinein scheint es, als hätten sich diese beiden Frauen gesucht und gefunden: Angelika Freitag und Jessica Reyes Rodriguez. Die eine züchtet im Tecklenburger Land Alpakas für nachhaltig hergestellte Stoffe. Die andere lebt nur eine halbe Autostunde entfernt in Emsdetten und entwirft Mode aus ökologisch produzierten Textilien. Trotzdem wussten die beiden Frauen lange nichts voneinander. Bis Angelika Freitag einen Vortrag der Designerin besuchte, der überraschten Jessica Reyes Rodriguez danach ihre Visitenkarte überreichte und nachdrücklich sagte: „Wir müssen uns unbedingt kennenlernen.“ Es wurde der Beginn einer produktiven Freundschaft.

Der Weg zu einer Alpaka-Farm von Angelika Freitag führt über die gewundene Dorfstraße von Ladbergen, vorbei an idyllischen Fachwerk- und modernen Einfamilienhäusern. Durch Lücken zwischen den Gebäuden blitzt eine Parklandschaft aus Hecken, Feldern und Waldstücken. Umgeben von Bäumen liegt ein ehemaliger Bauernhof. Von dessen Eigentümern hat Andrea Freitag einige Wiesen für ihre Alpakas gepachtet. Insgesamt hat sie über 300 Tiere an vier Standorten in Ladbergen stehen.

Freitag kommt zwar aus der Landwirtschaft, hat aber beruflich den Weg als Ärztin eingeschlagen. Ihre Alpaka-Zucht begann mit Pferden, die sie, ihr Mann und ihre Kinder auf dem Hof hielten. „Und Pferdewiesen brauchen andere Tiere zum Nachweiden, damit die Weidefläche gesund bleibt“, erklärt die Züchterin. Zu diesem Zweck wollte sie sich auf einer Landwirtschaftsmesse einige Galloway-Rinder anschauen. Doch so weit kam es nicht. Zuvor sah sie einige Alpakas, fasste die Tiere an – „und dann war’s aus“, erzählt Freitag. Aus mit den Galloways.

Alpakas gehören zur Familie der Kamele und stammen aus den Anden. Die friedlichen und robusten Tiere leben in Herden, wie hier auf einer der Farmen von Angelika Freitag in Ladbergen. Foto: Schwarze
Da ihre Augen, ähnlich wie beim Menschen, vorne im Gesicht sitzen, können Alpakas ihr Gegenüber direkt anblicken. Der Ausdruck von gelassener Aufmerksamkeit wirkt auf uns Menschen beruhigend. Foto: Schwarze
Alpakas begrüßen sich mit Nasenstübern. Angelika Freitag akzeptieren sie als eine der ihren. Foto: U. Freitag

Ihre ersten Alpakas kaufte die noch unerfahrene Angelika Freitag nach Gefühl. „Im wahrsten Sinne des Wortes“, erinnert sie sich. „Ich habe die Augen geschlossen und mit beiden Händen in das Fell der Tiere gegriffen.“ Ein Glücksgriff: Sie erwischte unter anderem zwei Stuten mit Genen von Vicuñas – Vorfahren des Alpakas mit sehr feinem Vlies. Mit diesen Stuten konnte Freitag eine Zucht von Tieren aufbauen, die hochwertige Rohmaterialien liefern. Von robusteren Fasern, die beispielsweise für Teppiche verwendet werden, über superfeine Fasern für Bettwäsche bis hin zur edelsten Faser „Alpaca Royal“. Von Wolle spricht man beim Haarkleid der Alpakas übrigens nicht.

In ihrem Büro, das in einer Scheune neben den Alpaka-Weiden untergebracht ist, verwahrt Angelika Freitag verschiedene Garn- und Stoffmuster in einem historischen Bauernschrank. Sie holt einige Schals heraus und lässt sie über ihre Finger gleiten. Die fein gewebten Muster schimmern im Licht. „Diese Muster habe ich aus einem Buch von 1773 abfotografiert, dass ich in einem Museum in Höxter entdeckt habe“, erzählt Freitag.

Als sie mit der Alpaka-Zucht begann, kaufte sie einen Webstuhl über eine Internet-Plattform, stellte diesen in ihrem Büro auf und engagierte eine Weberin. Aber der Raum war auf Dauer zu kalt. Also suchte Freitag nach einem geeigneten Standort. Und fand ihn fast vor Ort, in der Handweberei Gönner in Emsdetten. Der Familienbetrieb hat sich seit 60 Jahren auf Paramente spezialisiert. Doch Stefan Gönner war sofort bereit, sich auf ein neues Projekt einzulassen. „Dort wird eben noch richtiges kreatives Handwerk gepflegt“, sagt Freitag. Inzwischen hat sie zusätzlich zu ihrem eigenen Webstuhl zwei weitere Webstühle von Gönner gemietet, auf denen er und seine Mitarbeiter ihre Alpaka-Fasern verarbeiten. Das Garn lässt Freitag zuvor von zwei Handwerksbetrieben spinnen.

Manche Stoffe bestehen aus einem Alpaka-Seide-Gemisch. Die Seide verleiht ihnen Glanz. Dieses Garn bezieht Freitag von einem weiteren Familienbetrieb, der allerdings in Indien beheimatet ist. Den Inhaber, „einen tollen Menschen“, habe sie auf einer Messe kennengelernt. „Ich arbeite nur noch mit Leuten zusammen, die ich persönlich kenne“, betont Freitag.

Um die hochwertigen Materialien in ihrem Büro vor Motten zu schützen, greift die Züchterin auf einen natürlichen Feind der Schädlinge zurück: Schlupfwespen! Die millimeterkleinen Tierchen legen ihre Eier in den Eiern der Motte ab und zerstören sie auf diese Weise. Für Menschen sind die Wespen völlig ungefährlich. „Und wenn keine Motteneier da sind oder alle zerstört, gehen die Wespen ein“, erklärt Freitag. Dank des natürlichen Mottenschutzes sind ihre Alpaka-Fasern frei von umstrittenen Chemikalien wie dem Insektizid „Permethrin“. Da Umweltmedizin ein beruflicher Schwerpunkt von Angelika Freitag ist, sieht sie die Verwendung solcher Produkte sehr kritisch.

Aus ihrem Bauernschrank zieht sie ein Mützchen in Puppengröße. „Das ist eine Mütze für Frühchen“, erklärt sie. Alpaka-Faser lasse sich problemlos sterilisieren. Das Material ist sehr robust. Und so wäscht Freitag alle Produkte, die ihr Haus verlassen, drei Mal. Bei 70 Grad. „Alpaka-Stoffe laufen beim ersten Mal etwa fünf Prozent ein, danach kann man sie bei beliebiger Temperatur im Wollwaschgang waschen“, sagt sie. So robust wie der Rohstoff ist die Tierart: Die Alpakas bleiben das ganze Jahr über draußen. „Sonst leidet die Faser“, sagt Freitag. Einmal im Jahr wird geschoren, der Ertrag pro Tier liegt bei etwa 500 bis 1000 Gramm.

Die Zucht, das wertvolle Rohmaterial und seine aufwendige handwerkliche Weiterverarbeitung haben ihren Preis. 300 Euro kostet » zum Beispiel ein handgewebter Alpaka-Schal mit Seide. Trotzdem steigt die Nachfrage. „Nachhaltigkeit wird immer mehr ein Thema“, erklärt Freitag. Es gebe einen wachsenden Markt für Dinge, die umweltgerecht produziert und dazu langlebig seien.

Menschen, die darauf Wert legen, gehören auch zum Kundenstamm von Jessica Reyes Rodriguez. In ihrem Atelier in Emsdetten zeigt die Designerin einige Modelle, die sie aus Alpaka entworfen hat, Kleider, Jacketts und Hosen. In einer Ecke stapeln sich außerdem bunt bedruckte Baumwollstoffe, auf einem anderen Ständer hängen Kleider, Blusen und Tuniken aus eben diesem Stoff.
Ökologisch hergestellte Baumwolle stand 2009 Pate für die Geschäftsidee von „Queen and Princess“, wie Reyes Rodriguez ihre Marke nannte. Sie wollte Mode machen für Frauen, „die mitten im Leben stehen und etwas für ihre Umwelt tun wollen“. In dieses Konzept passten Angelika Freitag und ihre Alpakas wie maßgeschneidert. „Anfangs musste ich ausprobieren, wie sich die Alpaka-Stoffe beim Nähen verhalten“, erzählt Reyes Rodriguez. Freitag erhielt die entsprechende Rückmeldung, die sie an ihre Weberei in Emsdetten weitergab.

 

In ihrem Büro hat Angelika Freitag verschiedene Garnproben aus gesponnenem Alpaka ausliegen. Foto: Schwarze
In ihrem Atelier verarbeitet Jessica Reyes Rodriguez nur ökologisch hergestellte Stoffe. Foto: Schwarze

„So ist es, wenn zwei kreative Visionäre zusammenarbeiten, man probiert und probiert, bis die Sache perfekt ist“, sagt die Designerin. „Das ist wie bei einem Backrezept, ich vergleiche immer alles mit Backen.“ Jessica Reyes Rodriguez lacht. In ihrem hellen Atelier steht immer eine Schale mit Plätzchen bereit, dazu eine Kanne mit duftendem Bio-Tee. Backen ist ihre zweite Leidenschaft, und ihre Kundinnen umsorgt sie gerne. „Ich möchte eben jede wie eine Königin willkommen heißen.“

Tee und Gebäck sind außerdem Teil ihres Konzepts: Regelmäßig veranstaltet Reyes Rodriguez „Modische Teatimes“. Dabei setzt sie den Teilnehmerinnen detailliert auseinander, welche Arbeitsschritte notwendig sind, bis eine umweltgerechte Bluse bei ihr auf der Stange hängt. Denn sie weiß: „Mit den Erklärungen kommt die Wertschätzung für meine Kleidung.“ Bei einer solchen Teatime lernten sich Reyes Rodriguez und Angelika Freitag kennen. Ebenso wie diese kennt die Designerin jeden, mit dem sie zusammenarbeitet. „Ich habe seit Jahren Stofflieferanten, die vom Saateinkauf bis zum fertig gewebten Stoff nichts anderes tun, als sich mit Bioqualität zu beschäftigen.“ Zum Beispiel damit, die Baumwolle, statt mit Chlor mit Meersalz und Sauerstoff zu bleichen.Welchen Einfluss die Produktion von billiger Massenware auf die Umwelt haben kann, macht das Schicksal des Aralsees klar: Der einstmals viertgrößte Binnensee der Erde ist beinahe ausgetrocknet. Schuld sind riesige Anbauflächen für Baumwolle, die Stalin rings um den See anlegen ließ. Zur Bewässerung der Felder wurden Unmengen an Wasser von den Hauptflüssen des Sees abgezweigt. Der Wasserspiegel sank stetig. „Was unsere Umwelt angeht, ist es nicht mehr fünf vor zwölf, sondern fünf nach zwölf“, warnt Reyes Rodriguez und schaut auf eine kleine Spendenbox aus Pappe. Darin sammelt sie Spenden für ein Projekt des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) für die Wiederansiedlung von Libellen. Das Insekt ist ihr Markenzeichen und findet sich auf manchen Mustern wieder, die Reyes Rodriguez selbst entworfen hat.

„Wenn ich einen Stoff sehe, habe ich sofort einen Film im Kopf, was daraus werden kann“, sagt sie. Einen Online-Shop für ihre fertigen Produkte bietet sie nicht an. Abgesehen von der perfekten Anprobe vor Ort geht es ihr auch um sinnliche Erfahrungen. Das sei wieder wie mit dem Gebäck: „Du brauchst das Gefühl: Dies ist meine Bluse, mein Schnitt, meine Farbe.“ Mode, das ist ihre Vision, soll für Menschen wieder nahbar werden – im Gespräch mit ihr als Designerin oder beim Betrachten der Alpakas von Angelika Freitag.

Wer ein Kleidungsstück erworben hat, das am Ende einer Kette von umweltbewussten Lieferanten und traditioneller Handwerkskunst steht, kann eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte, die beginnen könnte mit den Worten: „Die Fasern meiner Jacke stammen von einem Alpaka namens Henrietta …“ «»

Jessica Reyes Rodriguez (links) und Angelika Freitag zeigen ein Kleid aus Alpaka-Faser. Foto: Schwarze

Ausgeglichene Alpakas

Im Unterschied zu Pferden und vielen Hunderassen haben Alpakas beide Augen vorne und schauen ihr Gegenüber direkt an. So, wie Menschen es untereinander gewohnt sind. „Dabei sind die Tiere sehr entspannt und das wirkt sich wiederum positiv auf Menschen aus“, sagt die Züchterin Angelika Freitag. Beim Umgang mit den friedlichen Alpakas wird das Kuschelhormon Oxytocin freigesetzt – jenes Hormon, das nach der Geburt auch die Mutter-Kind-Bindung festigt. „Alpakas sind daher ideale Therapietiere für Menschen mit Behinderungen oder psychisch erkrankte Kinder“, erklärt Freitag. Aber auch auf gesunde Menschen wirkt der Umgang mit den Wuscheltieren entspannend. Das können Interessierte bei einer der Alpaka-Wanderungen erleben, die Angelika Freitag regelmäßig anbietet. Gewandert wird mit den Hengsten, die getrennt von den Herden mit Zuchtstuten gehalten werden. „Die Stuten sind ja regelmäßig tragend und dann nicht so umgänglich“, erklärt Freitag. Außerdem schaut sie genau, welche Tiere sich für die ausgedehnten Gruppen-Spaziergänge eignen – nämlich diejenigen, die neugierig sind und Spaß an Leuten haben. „Bei Alpakas gibt es unterschiedliche Typen, genau wie bei Menschen“, sagt die Züchterin. Das Konzept geht auf, die Nachfrage an Wanderungen mit den umgänglichen Tieren steigt stetig.

Alpakafreunde und Menschen, die Alpakas kennenlernen möchten, finden Informationen zu den Wanderungen unter www.aabach-farm-alpakas.de/aktuelles.php. Touren können gebucht werden unter www.groupon.de/deals/aabach-farm-alpakas.

Kontakt:

Reyes Rodriguez stellt sich und ihr Label im Internet unter www.queenandprincess.de vor. Kontakt per Telefon unter 02572/9589584.

Informationen zu den Alpakas von Dr. Angelika Freitag finden Sie unter www.aabach-farm-alpakas.de oder unter www.alpaca-royal-fiber.com. Wenn Sie an einem Besuch bei den Alpakas interessiert sind, können Sie unter der Telefonnummer 0170/9131490 oder per E-Mail an einen Termin vereinbaren.