Vom Walzer bis zu "Atemlos"

Wie eine kleine Handwerksmanufaktur den Drehorgelbau bewahrt

Von Michael Kniess (Text und Fotos)

Man findet sie auf den Philippinen, in Russland, in Kanada, in Japan und natürlich auch hierzulande. Alleine in Tokio läutet das musikalische Spiel dieses traditionellen Musikinstruments in 24 Kindergärten die Pausen ein. Aus ihren bis zu mehr als 122 Pfeifen aus massivem Holz erklingen Klassiker, wie der Walzer, Kinderlieder, aber auch Technomusik der 90er Jahre und aktuelle Schlager wie „Atemlos“ von Helene Fischer. Seit mehr als 34 Jahren werden in der kleinen Drehorgelmanufaktur von Kai Rafeldt in Mittelfranken mit viel Liebe zum Detail verschiedenste Drehorgelmodelle und -ausführungen in aufwändiger Handarbeit hergestellt.

Zwischen zwei Wochen und sechs Monaten dauert das es je nach Modell. Meterstäbe findet man in der Schreinerei keine, nur Feinlineale. Jedes Loch, das zur Funktion der Orgel beiträgt, wird von Hand gebohrt. Bis zu zwei sechs Meter lange „feinjährige“ skandinavische Fichtenstämme werden in einem Jahr verarbeitet. In präzisester Filigranarbeit. Dazu kommen Ahorn für die Technik im Innenleben der Orgel und Buche überall dort, wo das Instrument besonders stabil sein muss.

Es kommt auf den Hundertstelmillimeter an, damit aus den mindestens neun Holzteilen eine Pfeife entsteht, die keinen schiefen, sondern einen wohlklingenden, den weltbekannten „Deleika-Klang“ erklingen lässt. Nicht nur der Pfeifenbau ist eine kleine Wissenschaft für sich. Etwa 2.000 Einzelteile braucht es, um aus den zentralen Bauteilen, dem Gehäuse, den Pfeifen, der Windlade, dem Blasebalg und dem Spieltisch am Ende eine fertige Drehorgel entstehen zu lassen. Von alledem sieht man bei der fertigen Drehorgel nichts mehr. Die Arbeit des Instrumentenbauers und des Feinmechanikers bleibt im Verborgenen. Alleine das Handwerk der Gehäusemalerin sticht ins Auge. Bei der Gestaltung des Orgelgehäuses gibt es nichts, was es nicht gibt: Sogar einen Ferrari habe man bereits einmal auf eine Drehorgel gemalt.

„Ich hoffe, diese wunderbare Musiktradition auch an junge Menschen weitergeben zu können“: Geschäftsführer Kai Rafeldt ist unermüdlicher Bewahrer des Kulturguts Drehorgel.
„Ich hoffe, diese wunderbare Musiktradition auch an junge Menschen weitergeben zu können“: Geschäftsführer Kai Rafeldt ist unermüdlicher Bewahrer des Kulturguts Drehorgel.
Wer Drehorgeln baut, braucht großes Geschick.
Wer Drehorgeln baut, braucht großes Geschick.
Es kommt auf den Hundertstelmillimeter an, damit aus den mindestens neun Holzteilen eine Pfeife entsteht, die keinen schiefen, sondern einen wohlklingenden, den weltbekannten „Deleika-Klang“ erklingen lässt. Nicht nur der Pfeifenbau ist eine kleine Wissenschaft für sich. Etwa 2.000 Einzelteile braucht es, um aus den zentralen Bauteilen, dem Gehäuse, den Pfeifen, der Windlade, dem Blasebalg und dem Spieltisch am Ende eine fertige Drehorgel entstehen zu lassen. Von alledem sieht man bei der fertigen Drehorgel nichts mehr. Die Arbeit des Instrumentenbauers und des Feinmechanikers bleibt im Verborgenen. Alleine das Handwerk der Gehäusemalerin sticht ins Auge. Bei der Gestaltung des Orgelgehäuses gibt es nichts, was es nicht gibt: Sogar einen Ferrari habe man bereits einmal auf eine Drehorgel gemalt. Überhaupt könnten die Kunden unterschiedlicher nicht sein: Vom ehemaligen Elektroingenieur, der sich mit Clownerie und Drehorgelspiel die Rente aufbessert, über Professoren aus Japan, bis hin zum gut bezahlten Manager, der sich dazu entschlossen hat, fortan lieber als Straßenmusikant sein Geld zu verdienen oder zur Krankenschwester, die mit 24-stündigem Dauerdrehorgelspiel ihren Traum vom Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde wahr gemacht hat, ist alles dabei. Grußbotschaften aus der ganzen Welt hängen an der Werkstattwand. Egal ob hohe Luftfeuchtigkeit auf den Philippinen oder Salzwassergischt an der Atlantikküste – die Drehorgel macht schließlich alles mit.
Die Tatsache, dass es bei uns keine modernen computergesteuerten Fräsmaschinen gibt, hat nicht nur Kostengründe“, sagt Kai Rafeldt. „Auf diese Weise geht jedes einzelne Bauteil durch verschiedene menschliche Hände und wird mehrfach kontrolliert.“ Das Ergebnis sind Instrumente, die Generationen überdauern. Die außerordentlich gute Qualität, mit der sich die Manufaktur weltweit einen Namen gemacht hat, ist Segen und Fluch zugleich. Mit dem Kauf ist der Kunde letztlich bereits wieder verloren. Eine Drehorgel aus dem Jahr 1982 ist in diesen Tagen erstmals zur Reparatur in Dinkelsbühl. „Wir leben deshalb vom Verkauf, von der Reparatur alleine könnten wir nicht existieren“, sagt Kai Rafeldt. Viel schwieriger als früher sei das heute, Mitbewerber gebe es kaum mehr. Aufgeben kommt für den 48-jährigen Geschäftsführer aber nicht in Frage. Zu groß ist seine Leidenschaft für das Instrument, welches nachweislich seit Mitte des 17. Jahrhunderts in allen Ländern Europas als Instrument der Straßenmusiker und Gaukler, aber auch – namentlich in England und Frankreich – als Kirchen- und Saloninstrument bekannt wurde.
Es kommt auf den Millimeter an, damit Musik erklingen kann.
Es kommt auf den Millimeter an, damit Musik erklingen kann.
Aus Löchern wird Musik.
Aus Löchern wird Musik.
Erfinderisch müsse man eben sein, sagt Kai Rafeldt. Das Aufrüsten der Musikinstrumente mit modernen Liedern von AC/DC bis zum angesagten Bierzeltschlager ist ein Mittel. Das andere – die Verbindung von alter mit neuer Technik – machte die kleine Drehorgelbaufirma bereits in den 1980er Jahren zum Weltmarktführer. Das nach dem Firmengründer Gerhard Fischer benannte „GEFINobaTronik-System“ gibt auf Tastendruck vollautomatisch bis zu 1.700 Melodien zum Besten. Kein geringerer als Gerhard Fischer selbst war es auch, der Kai Rafeldt die Drehorgel näher gebracht hat. „Mit 14 Jahren bin ich zum ersten Mal in Kontakt mit dem Instrument gekommen, als dieser damals am heimischen Esszimmertisch auf seiner ersten selbstgebauten Drehorgel vorspielte“, sagt Kai Rafeldt. Der Freund der Familie machte sein Hobby schließlich zum Beruf und auch Kai Rafeldt entschied, gerade 18 Jahre alt geworden, „das mache ich jetzt“.

Zunächst nur nebenbei eignet sich der gelernte Bürokaufmann beim Blick über die Schultern der Orgel- und Instrumentenbaumeister sukzessive das Handwerk an, bis er schließlich 2006 Geschäftsführer wird. „Schlichtweg deshalb, weil es damals niemand anderes machen wollte“, wie er sagt. Heute kann er Drehorgeln nicht nur alleine bauen, sondern ist zugleich auch ein unermüdlicher Bewahrer „seines“ Instruments. Egal ob im manufaktureigenen Drehorgelmuseum, welches mit Museumsführungen zum Besuch einlädt, oder beim jährlichen Tag der offenen Tür – Kai Rafeldt nutzt jede Gelegenheit, um andere Menschen für die charakteristische Drehorgelmusik zu gewinnen.

Auch dem CSU-Politiker Edmund Stoiber hat er schon vorgespielt, bei der bundesweit bekannten „Fastnacht in Franken“ war er ebenfalls bereits im Programm. „Ich hoffe, diese wunderbare Musiktradition auf diese Weise auch an junge Menschen weitergeben zu können“, sagt er. Bis auf die große Konzertbühne hat er es mit einer seiner Drehorgeln bereits geschafft. Die deutsche Kultband „Sportfreunde Stiller“, die regelmäßig für ausverkaufte Konzerthallen sorgt, hat ihren Hit „54, 74, 90, 2010“ bei Live-Auftritten schon häufiger mit Drehorgelklang aus der kleinen Manufaktur untermalt.

(18.02.2016)
(18.02.2016)